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DFV-Bundesfachkongress: Gewalt gegen Einsatzkräfte

„Wie hätten Sie als Maschinist oder Fahrzeugführer reagiert, wenn Sie mit Feuerwerkskörpern beschossen werden, während Sie mit dem Löschfahrzeug zur Einsatzstelle fahren?“ Eine Frage, die nicht alltäglich ist und die sich viele noch nicht gestellt haben; aber Christian Woletz hat diese Situation als Einsatzkraft der Berliner Feuerwehr an Silvester 2022/2023 erlebt. Eindrucksvoll schilderte er zum Auftakt des diesjährigen Bundesfachkongresses, wie sich Gewalt gegen die anrückenden Feuerwehrleute äußerte: Anfahrt durch errichtete Barrikaden, Beschuss durch Knallkörper sowie Waffen und ein dadurch beschädigtes Einsatzfahrzeug mit Rissen und 2-Euro-Stück großen Löchern in der Sicherheitsfrontscheibe des Kraftfahrzeuges. Menschenmassen, die Polizei und Feuerwehr als Teil der staatlichen Daseinsfürsorge in Hinterhalte gelockt und Gerät geplündert haben, wirkten durchaus bedrohlich hinsichtlich der eigenen Sicherheit.
Der Referent resümierte: „Es ist eine Dimension an Gewalt, die alles bisher Dagewesene in Berlin in den Schatten stellt, dabei sind wir als Großstadt schon einiges gewohnt gewesen.“

Dass darauf reagiert werden muss, ist längst in Politik angekommen. Und so haben die Verantwortlichen zwischenzeitlich ihre Schlüsse aus den Vorfällen gezogen. Öffentlich verurteilen sie jegliche Vorkommnisse und fordern die Justiz zu entschlossenem Handeln auf, um eine Signalwirkung hinsichtlich von zu erwartenden Konsequenzen zu erzeugen. Der Berliner Staatssekretär für Inneres, Christian Hochgrebe, sieht den Dreiklang der rechtsstaatlichen Mittel von Prävention, Intervention und Repression als notwendigen Ansatz zur Verhinderung von sich verschlimmernden gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Verzahnung von Judikative und Legislative, Lobbyarbeit gegenüber den Abgeordneten zur Bereitstellung von Finanzmitteln und die Entschlossenheit, für die Sicherheit der Einsatzkräfte mit geeigneten technischen und taktischen Mitteln einzustehen, seien aus Sicht des Berliner Senats die geeigneten Maßnahmen.
Erste Schritte seien schon ergriffen worden; so sei der flächendeckende Einsatz von Bodycams als technisches Einsatzmittel zur Beweisführung und Deeskalation eingeleitet, von 4.000 Geräten für die Sicherheitskräfte von Polizei und Feuerwehr gingen allein 900 an den Brandschutz. Auch die Fahrzeuge würden mit Dashcams aufgerüstet, um Aufzeichnungsmaterial zu erhalten. Daneben würden großangelegte Strategie-Veranstaltungen in die Bevölkerung transportiert; so habe ein Gipfel gegen Jugendgewalt stattgefunden und Stadtteilarbeit sowie Workshops in Schulen würden initiiert. Mit Kiezgesprächen werde einem sich verbreitenden Missverhältnis von Leitlinien des Zusammenlebens und der Realität entgegengegetreten.

Mit den Ursachen zu den Gewalteskalationen beschäftigte sich wiederum Ahmad Mansour, der als Psychologe solch ein Verhalten analysiert. In seinem Vortrag äußerte er sich in Erklärungsversuchen zu Hintergründen und ersten Lösungsansätzen.
Eine Feststellung war ihm jedoch wichtig: „Die Gesellschaft, egal, ob mit Migrationshintergrund oder nicht, steht hinter Ihnen als Einsatzkräfte. Ihre Arbeit verdient Respekt, das wird nur selten gesagt.“ Diese Differenzierung war ihm wichtig, denn in der öffentlichen Wahrnehmung würden oft vorschnelle Einschätzungen hierzu abgegeben, die nicht zwingend die Realität abbilden.
Richtig ist es seiner Ansicht nach aber auch, dass überwiegend fremde Kulturen, die inzwischen in Deutschland dauerhaft leben, häufig eine andere Sozialisierung haben. So seien es die patriarchalen Strukturen, welche eine völlig andere Herangehensweise an Alltagssituationen begründeten. Sie führten zu den Problemen bei Migranten, denn das Leben richte sich nach ihrer ursprünglichen Prägung, allerdings kämen sie dann aber in eine Gesellschaft, die ganz anders funktioniere. Zu ihrem Systemgedanken gehöre jedoch, sich nach oben zu beugen, „nach unten aber zu treten“ und wie in einer Pyramide stehe das Oberhaupt an der Spitze.
Wenn diese Menschen sich dann beispielsweise durch Alkohol, Drogen, Stress-Situationen erniedrigt und im unteren Segment der Pyramide angesiedelt fühlten, neigten sie gemäß ihrer Prägung zu Hass. „Klare Ansagen werden als Kränkung angenommen“, so Mansour. In der Wahrnehmung der eigenen Ohnmachtsgefühle versuchten sie in ihrer Unsicherheit, andere zu Opfern zu machen, um diese wiederum zu beherrschen. „Das ist dann der Auslöser für Gewaltbereitschaft als Mittel zum Verschwinden der Minderwertigkeit“, erklärte der Psychologe.
Nach und nach sinke die Toleranz. Gewaltdelikte bei Minderjährigen nähmen zu, die Hemmschwelle bereits in Schulen sei weiter abgesunken.
Interessant sei dabei, dass sich unter den Personen mit Zuwanderungsgeschichte ja auch Staatsbedienstete befänden: Lehrkräfte, Polizeiangehörige, Feuerwehrleute. Mansour berichtete, dass auf die Nachfrage, wo in der Pyramide die hiesigen Vertreter des Staates stünden, die mehrheitliche Antwort „Außerhalb der Pyramide!“ laute. Ursache hierfür sei die fehlende Angst vor dieser Staatsmacht in der freiheitlichen Gesellschaft, verbunden mit dem Dank dafür.
Einige Personen nähmen die Einsatzkräfte, egal welcher Kategorie, aber als schwach wahr, weil die angewendeten Maßnahmen nicht wie in Herkunftsländern greifen, so die Beobachtung. Sie versuchten dann, sie sich über die Gruppe stellen. Verachtung sei die Folge, und aufgrund sinkender Hemmungen steige die Gewaltbereitschaft.
Werde darüber hinaus das Bild einer Einsatzkraft mit Tragen einer Uniform in den heute verfügbaren Medien noch brutal dargestellt, beispielsweise im Rap, füge sich das Bild vermeintlich zusammen.
Generell hab die Beschäftigung mit Handys, Tablets und anderen digitalen Angeboten zum Verlust der Empathiefähigkeit geführt – schon im Kindesalter. Eine massive Zunahme des digitalen Umgangs sei spätestens seit Corona-Zeiten erkennbar; dies führe zu Defiziten im Kontakt zwischen Gleichaltrigen. Der respektvolle Umgang und das Mitgefühl mit anderen Menschen gingen verloren und das Erlernen von Gesprächen über Emotionen habe in Familie und Gesellschaft abgenommen. Es finde zunehmend eine Interaktion mit emotionaler Abwesenheit statt.
Mansour appellierte: „Hier müssen Politik und Gesellschaft nun den Diskurs führen, um Lösungen zu erarbeiten. Und dies ist bei weitem nicht nur ein deutsches Phänomen. Auch bei europäischen Nachbarn und weltweit sind die Entwicklungen erkennbar. Es gilt, offene Debatten darüber zu führen und die tatsächlichen Probleme nicht zu verschweigen!“ Und nur so könnten auch die Geschehnisse von Silvester 2022 in Berlin, welche exemplarisch genannt worden waren, betrachtet und aufgearbeitet werden.

„Wir brauchen Respekt, Empathie und Werte“, resümierte Heinz Kreuter, Moderator und Mitglied des DFV-Beirats.

DFV-Vizepräsident und Fachanwalt für Strafrecht Lars Oschmann ordnete der Zuhörerschaft des Bundesfachkongresses die Vorfälle von Gewalt im Einsatz juristisch ein. Er stellte dabei klar, dass zwar die Definition von Gewalt klar und eindeutig sei, allerdings die Wahrnehmung durch Einsatzkräfte durchaus davon abweichen könne. Es würden zwar häufig atypische, jedoch nicht spezifische Handlungen von Gewalt im Einsatzgeschehen wahrgenommen, letztere unterlägen aber gleichermaßen dem Strafrecht.
Eigentlich seien Gewaltdelikte, wie sie den Einsatzkräften auch der Feuerwehr widerfahren, vom allgemeinen Strafrecht gedeckt. Der althergebrachte Begriff des Landfriedensbruchs zum Beispiel finde dann Anwendung, wenn Menschen sich zusammentäten, um den öffentlichen Frieden zu stören. Das sei schnell erfüllt bei den Szenarien, die Feuerwehrleute im Einsatz erleben, so wie der Fall Berlin zeige. In der Rangfolge der Delikte folge auf Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung bereits die Sachbeschädigung. Hierzu zähle auch die Zerstörung von Arbeitsmitteln, was vorliegend gegeben gewesen sei, denn Gerätschaften des Berliner Löschfahrzeuges wurden entwendet.
Oschmann betont, dass es strafrechtlich nicht nötig gewesen wäre, die Einsatzkräfte besonders hervorzuheben, denn die Ahnung und Strafverfolgung wäre problemlos durch den allgemeinen Teil im Strafgesetzbuch möglich. Dennoch habe es die Diskussion und schließlich den erklärten Wunsch der Politik um die Notwendigkeit eines eigenen Straftatbestands gegeben. Dies mündete 2011 in der Ausführung des 6. Abschnitts des Strafgesetzbuches, der sich seither speziell mit dem Widerstand gegen die Staatsgewalt befasst. 2017 wurde in einer Verschärfung auch noch zusätzlich das Merkmal des tätlichen Angriffs aufgenommen.
Minimiert nun aber überhaupt diese Strafzumessung die Gewalt? „Nein, dies hat nicht zu einer Verminderung geführt, nun aber soll das Strafmaß dennoch erneut erhöht werden. Hintergrund ist die Aufweitung als ‚Verbrechen‘, das mit einem Strafmaß von mindestens einem Jahr belegt ist und viele weitere Möglichkeiten der Beweisführung eröffnet. Das Ziel ist die Effektivität der richterlichen Entscheidung, welche hoffentlich zu mehr Abschreckung führt als bisher“, führte Oschmann aus. Die Zahlen belegten eine gewisse Fehlquote: Von 175 Festnahmen in Berlin führten bis Jahresmitte 2023 lediglich 111 Fälle zum Verfahren, 45 wurden eingestellt und bei Minderjährigen gebe es ohnehin nur die Hilfe zur Erziehung als Mittel. Zwar gingen die Jugendstraftaten zurück, aber die Schwere nehme zu. Zudem sei die öffentliche Wahrnehmung anders als früher.
„Abseits der Beschäftigung mit den Tätern sollten Opfer mehr begleitet werden!“, forderte der Experte. Eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit auch zu Urteilen sei hilfreich, um darzulegen, was mit den Tätern passiere.

Wie schnell einfache alltägliche Begegnungen schon als bedrohlich wahrgenommen werden können und daraus Gewalt als Gegenreaktion resultiert, konnte Notfallseelsorger Olaf Engelbrecht einordnen. Das Wissen darum sei wichtig, und weitere Informationen würden beim Umgang damit helfen. Aggressionen seien bei Frauen und Männern anders ausgeprägt. Unterschiedliche Kulturen stießen aufeinander, auch in ihrer spezifischen Reaktion. „Komplexe soziale Systeme monopolisieren Gewalt“, erläuterte er. Werde beim Gegenüber dann Nachlässigkeit wahrgenommen, führe dies beim Menschen zu weiteren Forderungen, denn Aufgeben aus Klugheit sei in der Praxis keine Option. Mit eindrucksvollen Beispielen führte Engelbrecht das Plenum in das alltägliche Wechselspiel der Macht ein. Dabei verlor er als Feuerwehrseelsorger aus Braunschweig nie den Bezug zu den Situationen des Einsatzpersonals.
Die Erkenntnis, in der Feuerwehr Selbstverteidigung anzubieten, sei nach seiner Aussage der Entwicklung hin zu Selbstsicherheitstrainings gewichen. Denn sobald man sich körperlich wehre, seien das Kampfhandlungen – und genau diese seien ja moralisch und fachlich falsch, ob als Täter oder Opfer. Um nicht Teil einer solchen Konfliktsituation zu werden, habe sich die Betrachtungsweise geändert. Wichtig sei aber in jedem Falle der Ansatz, sich als Feuerwehr-Einsatzkraft mit den Gefahren sowie mit den Möglichkeiten der Bewältigung zu beschäftigen.

Matthias Oestreicher, DFV-Presseteam